Eine kleine Geschichte darüber, wie ich das Warten wieder lernen wollte und heute kläglich scheiterte ...
Mein Sohn blättert in einer Spielzeugzeitung. „Mama, das will ich haben!“ Dabei zeigt er mit langem Zeigefinger auf eine große Spielzeugfigur. „Kannst du mir das jetzt kaufen?“
„Nein!“ sage ich und ergänze ganz pädagogisch: „Das ist wirklich ein schönes Spielzeug. Weißt du was? Bald ist Weihnachten. Du kannst es dir ja zu
Weihnachten wünschen.“
Mein Sohn schaut mich entgeistert an. Dann wird er lauter: „Weihnachten? Weißt du, wie lang das noch ist?“ Er ballt die Fäuste, beugt seinen Kopf nach vorn. Sein kleiner Körper bebt. Oh weh!
Jetzt wird es ernst. Dann höre ich ihn nur noch aus Leibeskräften brüllen: „Ich will es aber jetzt haben! Jetzt!“
„Ich weiß“, versuche ich ihn zu beruhigen. Kniend sage ich zu ihm „Ich möchte dir das jetzt aber nicht kaufen. Bis Weihnachten kannst du BITTE WARTEN!“
Natürlich kann er das nicht! Und jetzt geht es richtig ab: Er schmeißt sich auf den Boden, natürlich tränenüberströmt und trommelt mit seinen kleinen Fäusten und Beine strampelnd einen
ohrenbetäubenden Sound in den Raum: „Ich kann nicht warten!“
Szenenwechsel, der gleiche Tag, nur ein bisschen später
Es ist Mitte November, der Himmel blau und das Thermometer zeigt über 15 Grad. Es scheint, als ob der Wind die Gunst der Stunde nutzt, um die letzten goldgelben Blätter von den Bäumen zu wehen. Ich bin auf dem Weg zum Wocheneinkauf. An die Lebkuchenherzen, die mir direkt am Eingang in die Augen stechen (und das meine ich wortwörtlich!), habe ich mich schon gewöhnt. Hatte ja auch lang genug Zeit, denn schließlich stehen sie hier schon seit dem 1. September. Nun erblicke ich weiter hinter auch noch die ersten Weihnachtsmänner in zarter Versuchung. Aber ich widerstehe. Das habe ich mir fest vorgenommen, nicht nur für Weihnachten, sondern für das ganze Jahr, geduldiger zu sein und das Warten wieder ein Stück mehr zu lernen. Denn damit steigt auch die Vorfreude und das ist bekanntlich ja die schönste Freude! Zuhause liegt daher eine lange Liste an Sachen, die ich denke zu brauchen. Es wäre kein Problem, diese jetzt schon zu haben – Laptop an, ein, zwei Klicks und morgen schon glücklich. Aber nein! Auch ich schreibe eine Wunschliste und stecke sie am 5. Dezember in meinen Stiefel. So übe ich mich in Geduld und genieße das Vorfreuen auf die Adventszeit, den 1. Dezember, die ersten Plätzchen, den ersten Glühwein, das erste Türchen und die ersten Weihnachtslieder, die dann wieder durchs Radio schmettern und dieses besondere Gefühl verbreiten. Gedankenversunken packe ich meine Einkäufe in die Taschen. Ignoriere die Weihnachtssachen, um sie dann einmal mehr wahrzunehmen, wenn es an der Zeit ist. Alles hat eben seine Zeit. Ich drehe mich um, will gerade zur Tür gehen, als ich vor Schreck erstarre. Träume ich oder ist es wirklich wahr? Im Radio läuft doch tatsächlich Last Christmas . Heute. Mitten im November! Es dröhnt mir in den Ohren, mir wird schwindelig und dann geht alles ganz schnell. Plötzlich sehe ich mich von oben. Wutentbrannt und tränenüberströmt schmeiße ich mich zu Boden. Ich trommle mit meinen Fäusten und Beine strampelnd einen ohrenbetäubenden Sound in den Raum. Eine Menge von Menschen umringt mich fragend, eine Frau reicht mir zur Beruhigung einen Lebkuchen und dann höre ich mich nur noch schreien „Last Christmas … BITTE lasst mich doch WARTEN!“ und stopfe mir das Schokoladending in den Mund.